Das Thema Corona geht mir zunehmend auf die Nerven. Es ist halt ein neuartiges, sich weltweit verbreitendes Virus, über das selbst die Experten noch nicht wirklich viel wissen. Das betrifft die Verbreitungs- und Übertragungswege, die Ansteckungsgefahr und die individuellen (bislang eben sehr unterschiedlich ausgeprägten) gesundheitlichen Auswirkungen sowie Infektions-, Todeszahlen und -raten. Trotzdem hat man wieder mal den Eindruck, dass es in Deutschland nicht nur 80 Millionen Bundestrainer, sondern auch 80 Millionen Epidemiologen gibt, denn jeder hat dazu eine ganz exakte Meinung.
In diversen, einschlägigen Foren zum Thema Radsport und -verkehr musste ich in den vergangenen Tagen auch entsetzt feststellen, dass inzwischen aufgrund der regelrechten (sich nicht nur im Hamstern von Nudeln und Klopapier manifestierenden…) Panik und Angst relativ viele sogar selbst einen totalen – es geht ja heute nicht mehr ohne coole Anglizismen – „Shutdown“, also eine (radikale) Ausgangssperre fordern. Dies hielte ich persönlich jedoch für maßlos überzogen – und auch absolut unverhältnismäßig.
Die „Corona-Krise“ führt jedoch in der Tat zunehmend zu teils extremen, autoritären Einschränkungen der allgemeinen Bürger- und Freiheitsrechte auch in Europa, wie man sie sich in dieser Form vor wenigen Monaten so noch nicht hätte vorstellen können. Während es bspw. in Österreich sogar mittels einer Lex-Corona und im von meinem Heimatort nur wenige Kilometer entfernten Frankreich bereits mehr oder weniger umfangreiche Ausgangssperren (im Wesentlichen: Hausarrest für Unschuldige!) gibt, blieb uns dies in Deutschland bislang glücklicherweise erspart. Es wäre für mich (gerade nach diesem versifften, dauernassen „Winter“) eine Horrorvorstellung, jetzt im Frühling tagelang im Haus eingesperrt zu sein und jenes nur noch unter ganz bestimmten Voraussetzungen, für relativ kurze Zeit verlassen zu dürfen. Auch die gewohnte, tägliche Runde mit dem Rad sollte in diesem Fall nicht mehr möglich sein, was bei mir schon auf einen „kalten Entzug“ hinauslaufen würde. Bei mir zeigen sich sowieso nach spätestens zwei Tagen Dauerregen oft schon die ersten Anzeichen eines Lagerkollers, weil ich mich von den Wänden erdrückt fühle.
In Frankreich soll nach einem Bericht des SR zumindest sportliche Betätigung im Freien weiter erlaubt sein – wenn man dabei allein bleibt. Wofür das Fahrrad natürlich auch ideal geeignet ist; ich bin auch letzten Endes beim Radsport gelandet, weil man von anderen Leuten völlig unabhängig ist. Die französische Grenze ist zwar nur ein paar km weg und ich kenne auch einige MTB-taugliche Forstwege-Grenzübergänge, um lästigen Grenzkontrollen zu entgehen – eine großartige Abenteuerlust, dies auszuprobieren, habe ich derzeit aber definitiv nicht. Ja, es war schon ein befremdliches Gefühl, dass ich bei der Planung meiner heutigen Route darauf achten musste, dass es nach Frankreich derzeit nicht geht – und vielleicht auch längere Zeit nicht mehr gehen wird. 🙁
In Deutschland hingegen hatte Bundesgesundheitsminister Spahn vor einigen Tagen ja noch das Fahrrad als alternatives Verkehrsmittel zur Vermeidung des Ö- und SPNV empfohlen. In der Schweiz sollen bspw. Fahrradwerkstätten weiterhin geöffnet bleiben, um die Velo-Mobilität aufrechtzuerhalten. In Deutschland hat man aber wohl vor allem aufgrund des Föderalismus bislang noch versäumt, hier eine eindeutige, bundesweit einheitliche Regelung zu treffen. In Berlin bspw. dürfen diese Werkstätten weiterhin geöffnet bleiben.
Dass es ohne Einschränkungen des gewohnten, öffentlichen Lebens nicht gehen wird, ist verständlich und wird auch von mir im Wesentlichen für notwendig erachtet, insbesondere was Massenansammlungen von Menschen betrifft. Für eine totale Ausgangssperre, die bspw. auch die alleinige sportliche Betätigung im Freien betreffen würde, hätte ich aber keinerlei Verständnis. Nach dem derzeitigem Kenntnisstand dürfte unter freiem Himmel, abseits von anderen Menschen ein Infektionsrisiko nahe Null bestehen – und die gesundheitlichen Vorteile (Stärkung der individuellen Abwehrkräfte) deutlich überwiegen. Trotz „Ausgangssperre“ soll sich ja absurderweise in den betroffenen Ländern ein Großteil der Menschen noch zur Lohnarbeit begeben – wo man dann weiterhin mit zig Kollegen im Großraumbüro, an der Kasse im Supermarkt oder in der Werkhalle malochen – und sich und andere weiter anstecken darf.
Ich hoffe inständig, dass der individuelle Aufenthalt an der frischen Luft zwecks körperlicher und sportlicher Betätigung in Deutschland weiterhin „legal“ bleibt!
Neoliberales Gesundheits(un)wesen
Allgemein sei mir angesichts dieser Pandemie auch noch die ketzerische politische Anmerkung gestattet: Hätte die vor allem in Europa durchweg neoliberale Politik der letzten 20 bis 30 Jahre nicht dafür gesorgt, dass das Gesundheitswesen (inkl. des ausgebeuteten und entlassenen Personals) zur Bedienung der Interessen des Kapitals privatisiert, förmlich ausgeschlachtet und kaputtgespart wurde – dann wäre Corona vielleicht gar nicht erst ein so großes Problem geworden, wie es derzeit eines ist oder werden könnte? In der Nachbarstadt Zweibrücken wurde erst im Jahr 2016 ein Krankenhaus geschlossen, weil es nicht mehr „wettbewerbsfähig“ war, also nicht genug „Gewinn“ erwirtschaftet hat. Auch das Rodalber Krankenhaus „kämpft ums Überleben“. Und was macht die Regierung? Scheißt die (sich sonst jede staatliche Einmischung verbittende) Wirtschaft mal wieder mit Milliarden-Finanzhilfen förmlich zu…! Und die Gesellschaft soll dieses nicht nur gesundheitspolitische Versagen nun auch noch mit Hausarrest bezahlen…!?
Daran mag derzeit auch noch niemand denken: Aber auch die wirtschaftlichen und finanziellen Folgen dieser „Corona-Krise“ werden mit Sicherheit für sehr viele Menschen verheerend sein. Nur ist dann für viele Betroffene leider kein Sozialstaat mehr da, um das alles abzufangen.
Das via Wikimedia Commons gefundene, dem Beitragsbild zugrunde liegende Foto eines 3D-Prints eines Coronavirus SARS-CoV-2 stammt vom Flickr-Nutzer NIAID und steht unter der Lizenz CC-by-2.0 generic. Von mir wurde die Größe reduziert, das Seitenverhältnis angepasst und ein (gemeinfreies) Zeichen 254 StVO eingefügt.
Während ein generelles Tempolimit 30/80/120 in Deutschland als indiskutable Einschränkung der Freiheit gilt, werden gerade grundlegenste Verfassungsrechte wie das Demonstrationsrecht einkassiert und die Maßnahmen stärken mal wieder die schlimmsten neoliberalen Kapitalisten wie Amazon.
Die Fahrradwerkstatt meines Vertrauens soll inzwischen Termine erst wieder nach Ostern haben, es sind also nicht alle Einzelhändler um die Ecke in einer schwierigen Lage.
Ja, es ist auch diese mich schon immer verwundernde unterschiedliche Akzeptanz von Todesfällen auf der einen Seite – und die Panik aufgrund der Auswirkungen eines bislang unbekannten Erregers auf der anderen, die ich nicht verstehe. Während die Todesfälle im Straßenverkehr, in der Sozialpolitik oder auch im Krankenhaus aufgrund multi-resistenter Keime nichts sind, worüber man sich groß Gedanken macht oder aufregen würde, verzichtet man derzeit auf elementare Grundrechte. Plötzlich sind auch Grenzschließungen wieder Politik der „Mitte“. Oder eben Ausgangssperren. Und wie radikal diese sind, wird auch in den teils sehr bösartigen Kommentaren der Shutdown-Forderer deutlich: „Du kannst ja dagegen demonstrieren! Oh, nee, darfst du ja nicht!“
Dass einige Fahrradwerkstätten nicht nur im Frühling extrem ausgebucht sind, war einer der Gründe, warum ich irgendwann auch mit dem Selberschrauben begann. Das Problem würde sich aber noch verschärfen, wenn jene nicht nur für den Publikumsverkehr, sondern auch „intern“ schließen müssten. Dass der Teufel im Kapitalismus (vor allem in Krisen) immer auf den größten Haufen scheißt, ist leider auch nix Neues. 🙁
Hmm, irgendwie sind die Links zu den Quellen verschluckt worden
https://www.lawblog.de/index.php/archives/2020/03/17/grundrecht-ausser-kraft/
https://www.manager-magazin.de/unternehmen/handel/coronakrise-warum-amazon-boomt-und-online-haendler-zalando-leidet-a-1305506.html
Die Tags waren jedenfalls leer, weshalb ich sie rauseditiert hatte.
Ich gehe davon aus, dass irgendwann nächste Woche eine Ausgangssperre in Deutschland gelten wird.
Was man dann noch genau machen darf, muss man abwarten. Allerdings werde ich es nicht mehrere Tage im Haus aushalten. Ich brauche Bewegung an der frischen Luft, eigentlich täglich. Ebenso meine Kinder. Also da geht es mir wie dir.
Persönlich finde ich dann doch sehr erschreckend wie leicht sich so ziemliche alle Leute ihre grundlegendsten Freiheitsrechte nehmen lassen ohne zu murren. Wer dazu noch was sagt, wird sogar angefeindet mit der Begründung jeder müsse sich jetzt komplett einschränken um allen das Leben zu retten.
Wie schon richtig von dir angemerkt, wurde das in anderen Bereichen z. B. im Straßenverkehr immer ignoriert. Aber hier ist ja alles anders.
An den sogenannten Leitmedien kann man das gut erkennen. Da wird schon auf den großen „Lockdown“ hingearbeitet, sprich die Bürger werden langsam darauf vorbereitet mit Artikeln die immer in die gleiche Richtung gehen.
Kein Artikel zu den Bürgerrechten und wie die durch Notstandsgesetze ausgehebelt werden können. Kein kritisches Nachfragen, ob das in der Situation nötig wäre. Aber das ist man ja schon gewöhnt vom „Qualitätsjournalismus“.
Da schreibt man sich seit bald 20 Jahren die Finger wund, mahnt, provoziert, will aufklären und wird immer als Querulant, Nörgler, Miesmacher, Zyniker, Linksradikaler und Pessimist hingestellt. Und dann haben wir quasi über Nacht die Aushebelung sämtlicher Freiheits- und Bürgerrechte. Man sieht wie „geil“ manche Leute regelrecht darauf sind. Der autoriäte Geist ist noch weit verbreitet. Aber nein wir brauchen einen „Schlußstrich“ und devotes Fressehalten ist in Deutschland immer noch erste Bürgerpflicht!
Während in Frankreich die Bevölkerung durchaus gegen die „Ausgangssperre“ protestiert (darüber wird natürlich nicht berichtet), kann es die deutsche Bevölkerung kaum erwarten, wenn man sich so die Kommentarspalten der bürgerlichen Massenmedien so durchliest.
Aber wenn nicht der Klimawandel, die ganzen Verkehrstoten und -verletzten, rechtsextreme Umsturzambitionen, sondern ein Virus die größtere Herausforderung nach dem 2 WK sind, dann müssen wir alle nun, alle Maßnahmen unkritisch hinnehmen.
https://www.zeit.de/politik/deutschland/2020-03/angela-merkel-coronakrise-solidaritaet-covid-19
Das ist auch die größte Angst, die ich aktuell habe. Ich hoffe, dass es genug Vernünftige gibt und Radfahren (v.a. allein) nicht verboten wird. Gerade auf dem Land wäre das absolut nicht nachvollziehbar, eher kontraproduktiv.
(Allerdings sieht man in größeren Ortschaften und der Stadt immer noch viele Menschen relativ dicht zusammen, d.h. Freiwilligkeit wirkt nur begrenzt und einfache Regeln sind schnell ausgedacht und eingeführt.)
Regional scheint sich das eh alles äußerst unterschiedlich (und auch zufällig) zu entwickeln; Pirmasens und Zweibrücken sind weiterhin ohne bekanntgewordene Fälle, in der Südwestpfalz sind es bislang zwei. In Bayern hat sich jetzt sogar schon ein Landrat als Sonnenkönig gekrönt – und eine auf sein Herrschaftsgebiet bezogene Ausgangssperre verhängt. Gerade in rechtlicher Hinsicht wird das alles noch umheimlich „interessant“, es lohnt sich mit Sicherheit, in der nächsten Zeit den lawblog oder auch den Youtube-Kanal vom Solmecke zu verfolgen. Die elementarsten Grundrechte werden in der nächsten Zeit wohl sturmreif geschossen. 🙁
Diese Sache mit der Distanz ist wohl auch eher nur eine Beruhigungspille; ob das jetzt wirklich was bringt, ist (wie fast alles) auch nicht belegt. Ich finde es auch in dem Zusammenhang weiterhin absurd, über Ausgangssperren zu diskutieren, während mehrere Millionen im Rahmen ihrer täglichen Lohnarbeit in geschlossenen Räumen relativ eng aufeinandersitzen und malochen müssen. Und dies wohl auch bei einer Ausgangssperre weiterhin tun sollen. Während die privilegierten IT-Hipster vor allem bei Twitter ihr „Leid“ beklagen, jetzt umringt von den Kindern Homeoffice betreiben zu müssen, hat der Durchschnitts-Lohnabhängige da keine große Wahl.
Da die Einschränkungen ja angeblich allein wissenschaftlich begründet sein sollen, dürfte es kein Verbot geben, alleine Rad zu fahren.
https://www.spiegel.de/auto/corona-krise-warum-fahrradfahren-gleich-doppelt-schuetzt-a-46196d09-4aa4-4041-97e3-1fd1ff094c3f
Zum Thema Grundrechtseinschränkungen:
https://twitter.com/heuteshow/status/1238585285744656390
Dabei Gegen Nachrichten unter, wie die Meldung, dass Cum-Ex-Geschäfte mit einer Bewährungsstrafe einhergehen.
https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/cum-ex-urteil-in-bonn-gericht-haelt-geschaefte-fuer-strafbar-a-352e1d30-fe93-4262-bdaa-fd3764f3d697
https://www.zeit.de/wirtschaft/2020-03/cum-ex-bonn-gericht-steuerskandal
Der Arme hat so viel Vermögen, dass man 14 Mio einziehen kann und wird in Zukunft andere krumme Dinge tun, aber keine Cum-Ex-Geschäfte mehr und kann nur noch schwierig ein Giro-Konto eröffnen … Ich schweife ab.
Aber eine gute Nachricht – zumindest für Großstädter – gibt es dann doch noch:
https://www.spiegel.de/auto/coronavirus-anbieter-stoppen-verleih-von-e-scootern-a-a6bd6988-0419-4c8f-923c-d8aafe5eba66
Das gilt im Wesentlichen auch für Z 254 oder blaue Radwegschilder. Hindert kaum eine Behörde, derartige Verbote trotzdem anzuordnen. Man kann ja klagen, um in 2 bis 3 Jahren ein Urteil zu erhalten…
Achja, die ersten (völlig überraschenden), typisch deutschen Nebenwirkungen des #staythefuckathome und #Ausgangssperre werden sichtbar. Wer weiß; am Ende werden die Opferzahlen wegen Ehe- und Nachbarstreitigkeiten aufgrund zu lauter Werkzeuge und ruhestörenden Kindern vielleicht die von Corona um Potenzen übersteigen…!? ? ?
Und man möchte gar nicht dran denken, wie viele Tim Taylors in der nächsten Zeit wegen abgetrennter Gliedmaßen die Intensivstationen blockieren werden? 😉 #LagerkollerGermany
Sascha Lobo: Wider die Vernunftpanik.
Ich sehe, du bist ein Kandidat für https://unsere-verfassung.de/
Wenn sie endlich uns gehört, kann Corona weg und Radwege auch.