Der Thüringer Verfassungsgerichtshof hat mit Urteil vom 1. März (Siehe auch die Medieninformation) aufgrund eines Normenkontrollantrages der AfD eine komplette Verordnung wegen Verstoßes gegen das Zitiergebot und darüber hinaus mehrere Bußgeldregelungen in zwei weiteren Verordnungen für verfassungswidrig und nichtig erklärt. Das Urteil ist in meinen Augen jedoch kein Erfolg, weil sich auch die Verfassungsrichter in Thüringen partout nicht von ihrer absolut unkritischen Hörigkeit gegenüber der Landesregierung, als vor allem auch des RKI lösen wollen. Andererseits ist es auch durchaus möglich, dass der Normenkontrollantrag auch etwas dünn begründet wurde. Alle Nichtigkeitserklärungen erfolgten überwiegend „nur“ aus formellen Gründen.
Die Entscheidungen:
- Die Thüringer Verordnung zur Freigabe bislang beschränkter Bereiche und zur Fortentwicklung der erforderlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 vom 12. Mai 2020 (GVBl. S. 153), zuletzt geändert durch die Zweite Verordnung zur Änderung der Thüringer SARS-CoV-2 Maßnahmenfortentwicklungsverordnung vom 4. Juni 2020 (GVBl. S. 265), ist nichtig.
- Die Regelungen in den Nummern 1, 3, 4 und 7 des § 14 Abs. 3 der Thüringer Verordnung über grundlegende Infektionsschutzregeln zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 vom 9. Juni 2020 (GVBl. S. 269) sind nichtig.
- Die Regelungen in den Nummern 1, 4, 5 und 8 des § 14 Abs. 3 der Zweiten Thüringer Verordnung über grundlegende Infektionsschutzregeln zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 vom 7. Juli 2020
(GVBl. S. 349), zuletzt geändert durch Artikel 3 der Thüringer Verordnung zur Fortschreibung der erforderlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 vom 7. November 2020 (GVBl. S. 551), sind nichtig.- Im Übrigen wird der Normenkontrollantrag als unzulässig verworfen bzw. zurückgewiesen.
- Der Freistaat Thüringen hat der Antragstellerin die Hälfte ihrer notwendigen Auslagen zu erstatten.
Die Nichtigkeitserklärung der unter Nr. 1 genannten Verordnung, die vom 13. Mai 20 bis 12. Juni 20 galt, bewirkt die vollständige, rückwirkende Rechtswidrigkeit aller darauf basierenden Maßnahmen. Der Grund hierfür war ein Fehler der Thüringer Landesregierung hinsichtlich des Zitiergebotes. Das Verfassungsgericht schreibt hierzu u. a.:
a. Die MaßnFortentwVO verstößt in formeller Hinsicht gegen das Rechtsstaatsprinzip und ist mit der Thüringer Verfassung unvereinbar (Art. 44 Abs. 1 Satz 2 und Art. 84 Abs. 1 ThürVerf).
(…)
dd. Die MaßnFortentwVO ist jedoch dahin gehend mit der Thüringer Verfassung förmlich unvereinbar, als sie nicht von einem formell ordnungsgemäß ermächtigten Verordnungsgeber erlassen wurde.
Die darüber hinaus für nichtig erklärten Bußgeldregelungen betrafen die Nichteinhaltung von Mindestabständen, die Kontaktdatenerhebung sowie das Tragen von „Mund-Nasen-Bedeckungen“ (also die „Maskenpflicht„). Jene wurden wegen Verstößen gegen das Bestimmtheitsgebot für nichtig erklärt.
Ich habe das Urteil bislang nur grob überflogen, aber wie bereits geschrieben, ist es eher ein Rück-, denn ein Fortschritt, weil die Richter der Landesregierung, als auch dem RKI quasi ein uneingeschränktes Vertrauen schenken. Immerhin fällt an der ein oder anderen Stelle das Wort „noch“. Sicherlich wird sich Ralf Ludwig damit im Rahmen eines Videos noch ausgiebiger befassen; vielleicht schiebe ich auch noch die ein oder andere Ergänzung hinterher.
Nachtrag
Telegram-Posting von Ralf Ludwig:
Ein erster vorsichtiger Schritt eines Landesverfasdungsgerichts.
Und scheinbar will man schon verbauen für den Zeitpunkt, an dem die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Krise vorliegen:„Zugleich habe es „außerordentliche Risiken für die Bevölkerung“ gegeben, während die Beurteilungsgrundlagen für die politischen und rechtlichen Entscheidungsprozesse wissenschaftlich noch nicht vollständig abgesichert gewesen seien.
…
Insofern seien die Verordnungen der Regierung zur Eindämmung des Coronavirus „weder offensichtlich fehlerhaft noch unvertretbar“.“